Unter Druck – Freiheit und Kunst | Gastbeitrag

12. Juli 2019

Mein Gastbeitrag in den Kulturpolitischen Mitteilungen II/2019 zum aktuellen Diskurs.

 


„Künstler sind dazu da, den Frieden zu stören“, sagte Biennale-Kurator Ralph Rugoff kürzlich in einem Interview. Im deutschen Pavillon in Venedig scheint das gelungen. Dort „beißt die Kunst die Hand, die sie füttert“, schreibt die Kunsthistorikerin Kia Vahland in der Süddeutschen Zeitung. Das zeige Natascha Sadr Haghighian alias Natascha Süder Happelmann der Welt, und das sei wirklich etwas worauf man stolz sein könne. Vor allem angesichts anderer Pavillons mit viel Staatskunst zwischen Kitsch und Affirmationen, an der die Kunst zugrunde gehe, so Vahland. Damit sind wir mitten drin im aktuellen Diskurs um die Freiheit der Kunst.

 

Freiheit unter Druck

 

Kunst ist frei – dieser zutiefst optimistische Satz formuliert einen Verfassungsauftrag. Wahrhaftig und unbequem zu sein, macht Kunst zu mehr als zum Schmuck einer Kulturnation und ihre Freiheit zu einem hohen Gut. Diese Freiheit ist unter Druck, vor allem von rechts. In Venedig wollte die rechtspopulistischen Lega die „Barca Nostra“ des Schweizer Künstler Christoph Büchel verbieten lassen. Das zum Kunstwerk erklärte Wrack erinnert an die Havarie im April 2015 bei der hunderte Flüchtlinge aus Afrika in Sichtweite der italienischen Küste gestorben sind. In Polen wurde zuletzt eine Fotoreihe der feministischen Avantgardekünstlerin Natalia LL abgehängt. Sie zeigt eine junge Frau beim genussvollen Verzehr einer Banane. Dieser Akt der Zensur provozierte kollektive Gegenwehr: Öffentliches Bananenessen als Protest für die Freiheit der Kunst. Mit Erfolg, die Werke hängen wieder im National Museum in Warschau.

Druck von rechts erfahren in Deutschland auch Theatermacher*innen und Intendant*innen, wie Amelie Deuflhard vom Hamburger Kampnagel, wegen ihrer Theaterarbeit mit Geflüchteten, das Berliner Gorki Theater und zuletzt das Mittelsächsische Theater im Freiberg, wo Dialogveranstaltungen zum Thema Rechtspopulismus auf Druck von AfD-Stadträten untersagt wurden. In Dessau wurde das Konzert der linken Punkrockband Feine Sahne Fischfilet vom Bauhaus abgesagt, wegen der Androhung rechter Protestaufmärsche. Zugleich stilisieren sich rechte Populisten gerne als Zensuropfer, – unter dem Motto „Das wird man doch noch sagen dürfen“ – um die Auseinandersetzung mit dem diskriminierenden Charakter ihrer Aussagen zu unterbinden.

 

Grenzen der Freiheit

 

„Kunst muss … zu weit gehen, um herauszufinden, wie weit sie gehen darf, wie weit die ihr gelassene Freiheitsleine reicht“, sagte Böll in seiner Wuppertaler Rede zur Freiheit der Kunst. Es ist an uns als Gesellschaft auszuhandeln, wo wir rote Linien ziehen. Etwa, wenn das Leiden von Auschwitz-Häftlingen in einem Rap-Song banalisiert wird.

Es ist an uns zu klären, wo Missbrauch anfängt und Kunstfreiheit aufhört. Sollten wir „Venus in Furs“ von Velvet Underground aus unseren Plattensammlungen verbannen, weil es Sadomaso-Sex mit Minderjährigen glorifiziert? Sollten Waterhouses Nymphen dauerhaft aus der Manchester Art Gallery verschwinden, weil sie ein zweifelhaftes Frauenbild transportieren? Wie stehen wir zu Schieles Mädchenakten und Balthus‘ Träumender Thérèse? Legitimieren wir als Betrachter nachträglich die Ausbeutung von Kindern? Wo sind die Grenzen der Freiheit, vor allem dann, wenn diese Freiheit eine weniger Privilegierter ist?

 

Beispiel „Avenidas“

 

Im Fall von Dana Schutz‘ Gemälde Open Casket über das schwarze Gewaltopfers Emmett Till, steht die Frage im Raum, ob die Erinnerung an den Mord zur Verarbeitung beiträgt oder zur erneuten Verletzung. Die schwarze Künstlerin Hannah Black fordert das Werk, das schwarzes Leid in Profit und Unterhaltung ummünze, zu zerstören. Julia Pelta Feldmann schreibt hierzu im Merkur 2017: „Wir alle würden es vorziehen, wenn Schutz’ Hautfarbe irrelevant wäre, aber sie ist es nicht – und sie wird es nicht sein, bis es die von Black nicht auch ist.“ Eine ähnliche Debatte wurde um das Gedicht Avenidas von Eugen Gomringer geführt. Studierende der Alice Salomon Hochschule hatten das Gedicht als sexistisch gedeutet und die Übermalung an der Hochschulfassade erwirkt. Mit Zensur hat das für mich nichts zu tun. Schließlich haben diejenigen, die das Gebäude in Berlin-Hellersdorf nutzen, in einem demokratischen, transparenten Prozess so entschieden. Aus der öffentlichen Wahrnehmung getilgt ist es nicht. Es existiert weiter in gedruckter Form und als kleinere Tafel auf besagter Wand.

Der Diskurs zeigt, es ist eben nicht egal wer Subjekt und wer Objekt eines Kunstwerkes ist, wie Nikola Roßbach schrieb in Achtung Zensur (2018). Man/frau stört sich heute am hegemonialen männlichen oder weißen Blick in der Kunst. Kunst verändert sich also nicht durch Zensur, sondern durch eine Bewusstseinsschärfung für Diversität, unsere koloniale Vergangenheit und Gegenwart. Wenn der Kunsthistoriker und Kulturredakteur der Zeit, Hanno Rauterberg, darüber klagt dass die Selbstverständlichkeit verloren gegangen ist mit der sich Kunst früher Fremdes aneignete und mit kolonialem Blick betrachtete, ignoriert er diesen Prozess.

 

Freiheit hat Voraussetzungen

 

Die Freiheit der Kunst, über die wir reden, hat Voraussetzungen. Noch immer lautet die Antwort auf die Frage, die die Guerilla Girls 1989 stellten: „Müssen Frauen nackt sein, um ins Museum zu kommen?“: Offensichtlich ja! Die Zahl ausgestellter Künstlerinnen in den Museen ist marginal. Dafür zeigen drei Viertel aller Akte Frauen. Gegen Sexismus und Diskriminierung anzutreten heißt, Frauen als Künstlerinnen zu stärken. Solange Dirigate, Intendanzen und Programmdirektionen männlich besetzt sind, wird der männliche Blick in der Kunst dominieren. Solange Werke von Künstlerinnen auf dem Kunstmarkt weniger wert sind, werden Künstlerinnen marginalisiert. Staatliche Kulturförderung soll Freiräume schaffen jenseits des Anpassungsdrucks der Märkte. Sie sollte in ihren Förderentscheidungen transparenter werden, für mehr Geschlechtergerechtigkeit und Diversität sorgen. Zur Freiheit der Kunst gehört die soziale Lage von Kulturschaffenden zu verbessern, und die alte Forderung „Kultur für alle“ umzusetzen. Denn Kunst braucht ein Gegenüber, wie Marcel Duchamp schreibt. Ohne eine schöpferische Teilnahme der Betrachter bleibt sie ein Fragment.

Worin unterscheidet sich der heutige Diskurs von früheren Bilderstürmen und Bücherverbrennung? Ich bin davon überzeugt, Diskriminierung erledigt sich nicht, wenn wir ihre Darstellung verbannen, sondern wenn wir den Diskurs führen, den nur eine freie Kunst anbietet. Anders als von rechts geführt, geht es nicht um Denkverbote, sondern um das Gewinnen neuer Perspektiven.

 

 

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Dieser Artikel erschien als Gastbeitrag in den Kulturpolitischen Mitteilungen, Heft 165 •II/2019 : Projektförderung

 

 

 

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