PM | Keine Verkleinerung des Bundestags, aber eine Verzerrung des Wählerwillens

18. September 2020

Zu der heutigen ersten Lesung des Gesetzesentwurfs der Koalition zum Wahlrecht erklärt Erhard Grundl, grüner Bundestagsabgeordneter aus Niederbayern:

„Was Union und SPD heute vorgelegt haben, wird den Bundestag nicht wirklich verkleinern und das Ergebnis der nächsten Bundestagswahl zugunsten einzelner Parteien verzerren. Die Koalition hat durch ihre jahrelange Blockade beim Wahlrecht wichtige Zeit verschwendet und legt jetzt kurz vor Ende der Wahlperiode einen ausgekungelten Minimalkompromiss vor“, so die vernichtende Bilanz von Grundl zu der heutigen Diskussion im Deutschen Bundestag.

Der niederbayerische Abgeordnete ist sich sicher, dass von einer Dämpfungswirkung, wie sie die Koalition verspricht, in Wahrheit keine Rede sein kann. Denn rechnet man die Vorschläge von Union und SPD mit dem Wahlergebnis von 2017, dann wäre der Bundestag immer noch weit über seiner Sollgröße. Noch eklatanter wird es, wenn man aktuelle Zahlen nimmt: dann hätte der Bundestag 763 Mandate. Nach der kommenden Wahl wird der Bundestag sehr wahrscheinlich noch größer werden.

Neben diesem Fehlen einer echten Verkleinerungswirkung ist für Grundl zudem die Abkehr von den Grundregeln des Wahlrechts ein riesiger Fehler. Denn zukünftig werden die Kräfteverhältnisse im Bundestag nicht mehr den abgegebenen Zweitstimmen entsprechen. Einzelne Parteien – höchstwahrscheinlich CDU und CSU – werden bevorteilt, da nicht mehr alle Überhangsmandate ausgeglichen werden. Es werden Szenarien möglich, in denen die Regierung zukünftig nicht durch die Mehrheit der abgegebenen Zweitstimmen gedeckt ist. „Damit findet eine Abkehr von anerkannten Wahlrechtsgrundsätzen statt“, betont Grundl.

„Mit dem Versuch eine Reform des Wahlrechts auf den Weg zu bringen sind Union und SPD kläglich gescheitert. Dem Bundestag liegt ein abstimmungsreifer Gesetzentwurf von Grünen, FDP und Linken vor, der diese Ansprüche wahrt und umsetzbar ist. Eine Sachverständigenanhörung hat bestätigt, dass unser Vorschlag dem bewährten personalisierten Verhältniswahlrecht entspricht, verfassungsgemäß und fair ist und alle proportional gleichermaßen trifft. Im Übrigen ist kein guter Stil, wenn die Koalition jetzt ohne Verständigung mit allen demokratischen Fraktionen diese Wahlrechtsreform so auf den Weg bringt.“

 

Hintergrund:

Wird das Bundestagswahlergebnis von 2017 als Grundlage genommen, würden durch die Wahlrechtsreform der Koalition gerade mal 23 Mandate gegenüber der aktuellen Größe von 709 Abgeordneten eingespart werden. Bei einem Bundestagswahlergebnis entsprechend der Umfragen vom 23.01.2020 würde der Bundestag durch die Wahlrechtsreform der Koalition auf 798 Mandate anwachsen. Bei einem Ergebnis nach der neuesten Umfrage vom 03.09.2020 wären es immer noch ganze 763 Mandate.

Die Berechnungen der grünen Bundestagsfraktion basieren auf Umfragen von Infratest-Dimap für das Zweitstimmenergebnis der Parteien und den Prognosen von election.de für das Erststimmenergebnis in den Wahlkreisen. Daraus ergeben sich Überhangsmandate und Ausgleichsmandate.

Zudem wurde das nun modifizierte Sitzkontingentsverfahren aus dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen in der Berechnung ebenfalls erfasst.

Umfragen und Prognosen können Ungenauigkeiten beinhalten und keinesfalls kann das kommende Bundestagswahlergebnis und damit die Größe des Bundestages vorhergesagt werden. Die Umfragen können aber eine klare Tendenz widergeben, mit welcher Bundestagsgröße gerechnet werden muss. Sie haben damit eine klare Aussagekraft, welche Reformvorschläge die Größe des Bundestages wirksam begrenzen können und welche dafür ungeeignet sind.

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