New York Reise: Midterm-Elections, Restitution von NS-Raubgut & Aufarbeitung des Kolonialismus
3. Oktober 2022In meiner Funktion als Mitglied des Ausschusses für Kultur und Medien, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und Obmann im Unterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik bin ich im Rahmen einer Einzeldienstreise vom 11. bis 14. September 2022 nach New York gereist.
Das Ziel war es, sowohl Gespräche zur sozio-kulturellen Situation der Kulturschaffenden generell und vor dem Hintergrund der Pandemie zu führen, aber auch die politische Lage vor den Midterm-Wahlen in den USA im November zu adressieren. Thematisiert wurde zudem die Bedeutung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik und der transatlantischen Beziehungen vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Ein zweiter Themenkomplex betrifft die Erinnerungskultur. Fragen der Provenienzforschung und Restitution von NS-Raubgut aus jüdischem Kunst- und Kulturbesitz habe ich im Austausch mit der Jewish Claims Conference erörtert. Auch die Frage des Umgangs mit der kolonialen Vergangenheit, der Umgang mit Zeugnissen von Kolonialismus und Sklaverei im Stadtbild und in Institution sowie das Thema Sklaverei als europäische Erfindung und ihre Folgen wurden thematisiert.
Midterm-Elections
Zur aktuellen politischen Lage konnte ich mit dem deutschen Generalkonsul David Gill sprechen. Die Midterm-Elections waren hierbei, wie bei weiteren Gesprächen, ein zentrales Thema, gelten die Zwischenwahlen doch als Gradmesser in Hinblick auf die Präsidentschaftswahl im November 2024. Dabei führt der Umstand, dass noch nicht klar ist, ob Präsident Biden ein weiteres Mal kandidiert und ob Ex-Präsident Trump eine zweite Amtszeit anstrebt, zu einer Reihe von strategischen Überlegungen. Insgesamt wurde Joe Biden von den meisten Gesprächspartner*innen eine gute Zwischenbilanz bescheinigt: Der Präsident habe sein Klima- und Sozialpaket durchsetzen können. Trotz der aktuellen Inflationssorgen, seien die Wirtschaftslage gut und die Arbeitslosigkeit gesunken. Die Demokraten hätten damit gute Chancen das Repräsentantenhaus zu halten und ggfls. auch die Mehrheit im Abgeordnetenhaus zu erreichen, so die Einschätzung.
Unterschiedlich waren dagegen die Einschätzungen bezüglicher möglicher Kandidat*innen für das Präsidentenamt. Zum Teil wurde das Fehlen attraktiver und bekannter Kandidat*innen bei den Demokraten konstatiert. Die Demokraten hätten sich personell und programmatisch nicht erneuert, so der Tenor. Ein zweiter Obama sei nicht in Sicht. Andere Gesprächspartner*innen waren der Auffassung, dass es nach den Midterms klare Aussagen geben werde für oder gegen eine erneute Kandidatur Joe Bidens. Geeignete Kandidat*innen bei den Demokraten gäbe es, sie warten allerdings die Midterms ab. Bei den Republikanern dagegen hielten viele eine erneute Kandidatur von Donald Trump für nicht unwahrscheinlich. Wir waren uns einig, dass dies direkte Auswirkungen auf die transatlantischen Beziehungen und die europäischer Sicherheitsarchitektur hätte, gerade angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine.
Auch ein Gradmesser für die politische Stimmung im Land sei die Reaktion auf das Urteil des Supreme Courts, wonach die Bundesstaaten das Recht auf Abtreibung verbieten können. Diese Entscheidung habe auch in konservativen Staaten stark polarisiert. Der Versuch, einmal erreichte Rechte der Frauen in Bezug auf eine straffreie Abtreibung zurückzunehmen, war auf erheblichen Widerstand in breiten Bevölkerungsschichten gestoßen.
Restitution und NS-Raubgut
Zum Thema NS-Raubgut gehörte der Besuch in der Neuen Galerie von Ronald Lauder, unter der Leitung der Direktorin Dr. Kathrin DiPaola. Zu Lauders Sammlung gehört das 1907 entstandene Portrait der Adele Bloch-Bauer von Gustav Klimt. Das Gemälde wurde nach einem langen, zähen Rechtsstreit vom österreichischen Staat an die Nachkommen der jüdischen Besitzer restituiert. 2006 wurde es zum damals angeblich höchsten Preis, der je für ein Gemälde gezahlt wurde, von Ronald Lauder erworben. Lauder konnte das Gemälde unter der Auflage kaufen, dass es fortwährend ausgestellt werde. Zum Zeitpunkt meines Besuchs wurde es gemeinsam mit einem anderen Portrait von Adele Bloch-Bauer sowie weiteren Werken von Klimt gezeigt.
Im anschließenden Gespräch mit Dr. Wesley Fischer von der Jewish Claims Conference wurde deutlich: Es gibt Fortschritte bei der Digitalisierung von Museumsbeständen als Voraussetzung für das Auffinden von Raubkunst und bei der Reformierung der Beratenden Kommission (Limbach-Kommission). Dennoch bleibe im Vergleich zu anderen Ländern, etwa Österreich, viel zu tun. Mit nur 16 Fällen habe sich die Kommission seit ihrer Einrichtung 2003 befasst – angesichts von vielleicht Millionen Gegenstände um die es geht, denkbar wenig.
Zudem sei die Beratende Kommission, die bei Differenzen über verfolgungsbedingt entzogenes NS-Raubgut vermitteln soll, auf dem Prinzip aufgebaut, dass sie nicht einseitig angerufen werden kann. Die mit einem Restitutionsanspruch konfrontierte staatliche Einrichtung muss der Anrufung zustimmen. Wichtig sei dagegen die Möglichkeit einer einseitigen Anrufung sowie die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage, um Restitutionsansprüche auch in Deutschland und gegen Privatpersonen geltend machen zu können. Eine Stärkung der Kommission sei notwendig. Zudem sollte die Kommission organisatorisch unabhängig sein vom Deutschen Zentrum Kulturgutverlust (DZK). Insgesamt müsse die Frage was eine „faire und gerechte“ Lösung sei, wie es in den Grundsätzen der Washingtoner Prinzipien heißt, im Sinne der Antragstellenden gesehen werden, so Dr. Fischer.
Columbia University und ihre Verbindung zur Sklaverei
An der Fakultät für Geschichte der Columbia Universität leitet Professorin McCurry ein Projekt unter Einbeziehung von Studierenden und Doktorant*innen, das sich mit dem Umgang staatlichen Institutionen, und im Einzelnen der Columbia Universität, mit der Sklaverei auseinandersetzt. Denn ganz Amerika sei mit der Sklaverei in Berührung gekommen, so McCurry. Es waren keineswegs nur die Baumwollplantagen im Süden hierbei relevant, sondern auch New York als Zentrum der Baumwollwirtschaft. Denn hier im Hafen kamen die ersten schwarzen Sklaven an und hier wurde die Baumwolle verkauft und verschifft.
Das Projekt basiert stark auf den Recherchearbeiten der Studierenden. Gerade der Umgang mit Rassismus und Sklaverei in den Institutionen sei ein Thema, das bis heute nicht wirklich aufgearbeitet ist. Jedoch sei die fehlende Aufarbeitung eine der Ursachen für auch heute noch weit verbreiteten Alltagsrassismus.
1014 – ein transatlantisches Projekt
Schließlich hatte ich die Möglichkeit einen Einblick in die Arbeit der Gesellschaft 1014 Inc. zu erhalten. Die, auf Initiative der Bundesregierung gegründete, gemeinnützige amerikanische Gesellschaft hat die Wiederbelebung der bundeseigenen Liegenschaft 1014 an der Fifth Avenue in Manhattan zum Ziel. Das Gebäude gegenüber dem Metropolitan Museum of Art soll zu einem transatlantischen Leuchtturmprojekt werden. Es handelt sich um ein fünfstöckiges sogenanntes Townhouse, das 1926 vom damaligen amerikanischen Botschafter James W. Gerald und seiner Frau gekauft wurde, wobei nur die Straßenfassade fünf Stockwerke aufweist und der oberste Stock nur ein Zimmer umfasst.
Derzeit befindet es sich das Gebäude in einem weitgehend renovierungsbedürftigen Zustand. Die unteren beiden Etagen werden jedoch bereits für Ausstellung und Veranstaltungen sowie Spendenevents genutzt. In einem internationalen und anonymen Verfahren hatte sich Sir David Chipperfield mit seinem Entwurf für den Umbau vor einer unabhängigen Jury durchgesetzt. Die Umbaupläne sehen eine Vervielfältigung der Nutzfläche vor, wie Andreas Fibig, Vorstandsvorsitzenden von 1014 Inc. ausführte. Im Herbst 2022 werden die Pläne dem Bundesfinanzministerium vorgelegt.
Kulturmittler und Besuch Internationale deutsche Schule in White Plains
Anlässlich eines gemeinsamen Treffens mit Vertreter*innen der Mittlerorganisationen konnte ich verschiedene Gespräche führen, insbesondere mit Dr. Jörg Schumacher, Leiter des Goethe Instituts New York, und Benedikt Brisch, Direktor des DAAD Nordamerika und Direktor des DWIH in New York. Für das Goethe Institut ist derzeit eine der drängendsten Probleme in eigener Sache, die Frage der Finanzierung. Pandemiebedingt haben die Goethe-Institute einen Rückgang der Sprachkurse zu verzeichnen, die für die Finanzierung der Einrichtungen entscheidend sind. Auch wenn die Nachfrage derzeit wieder steigt, kommen die Goethe-Institute noch nicht wieder auf die früheren Teilnehmerzahlen. Da zudem der derzeitige Haushaltsplan Kürzungen vorsieht, befürchtet Dr. Schumacher auch Schließungen von Goethe-Instituten in den USA. Vor dem Hintergrund des Bedeutungszuwachses, den die transatlantischen Beziehungen gerade angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine erfahren haben, wären allerdings die Schließungen der Einrichtungen ein schwerwiegender Verlust.
Die German International School (GISNY) gehört zu den deutschen Auslandsschulen, die durch die Entsendung deutscher Lehrkräfte und eine anteilige Übernahme der Betriebskosten vom Bund unterstützt wird. Die Privatschule befindet sich in White Plains, New York. Für die etwa einstündige Fahrzeit von Manhattan stehen Schulbusse zur Verfügung. Die Absolvent*innen können sowohl mit dem High School Diploma wie mit dem internationalen Abitur abschließen. Die Schule ist sehr nachgefragt. Viele Schüler*innen haben einen mehrsprachlichen Hintergrund. Hier konnte ich den Schulleiter Lars Hierath und die Verwaltungsleiterin Michaela Rueda treffen, das Schulgebäude und seine umfangreichen sportlichen Außenanlagen besichtigen. Anschließend fand in der Bibliothek der Schule ein offener Austausch mit einer sehr interessierten und gut vorbereiteten Gruppe von Schülerinnen und Schülern der 12. Klasse statt, die ausgezeichnet Deutsch sprachen.
The New School
An der renommierten New School in New York hatte ich die Gelegenheit mit den Dekanen zweiter Fachbereiche zu sprechen. Die Universität wurde 1919 gegründet auf Initiative einer Gruppe progressiver Professoren, um einen Raum zu schaffen für innovatives Denken, das über tradierte scholastische Denkschulen hinausgeht.
Von Anfang an hatte die New School enge Beziehungen zu Europa. Früh machte sie auf die Gefahr aufmerksam, die vom Nationalsozialismus für die Demokratie und die zivilisierte Welt ausging. Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 gründete sie eine Exiluniversität für verfolgte jüdische und regimekritische Wissenschaftler*innen an deutschen Universitäten. Mehr als 180 Personen und ihre Familien erhielten durch sie Visa und Arbeitsplätze. Schließlich wurde die Universität im Exil in die New School eingegliedert und heißt heute New School for Social Research (NSSR). Die NSSR sieht sich auch heute als Ort innovativen Denkens und freier Forschung für Studenten und Dozenten verschiedener Ethnien, Religionen und geografischer Herkunft.
An der New School, lehrte unter anderen die Philosophin Hannah Arendt. Heute sind sowohl die Mannes School of Music, das College of Performing Arts sowie die Parsons School of Design Teil der New School, und weisen eine Vielzahl bekannter Absolvent*innen auf, wie u.a. Marc Jacobs.
Mit dem Dekan des College of Performing Arts und der Mannes School of Music, Richard Kessler, konnte ich mich austauschen über die Situation der darstellenden Künstler*innen auch vor dem Hintergrund der Pandemie. Trotz Pandemie und Inflation, so der Dekan, wäre das Bedürfnis nach darstellender Kunst in allen Bereichen groß und es fänden wieder vermehrt Veranstaltungen statt, auch wenn die Zuschauerzahlen noch nicht das Niveau vor Corona erreicht hätten. An der Mannes School liege der Fokus auf einer praxisorientierten Lehre. Die Mannes School bietet selbst eine Vielzahl von Übungsräumen und Auftrittsmöglichkeiten. Dabei reicht die Bandbreite von der klassischen Ausbildung, über Jazz bis zum Hiphop. Die traditionelle Unterscheidung von Hoch- und Unterhaltungskultur, gibt es bei der Mannes School nicht.
William Milberg, Dekan und Professor für Ökonomie an der New School, beschreibt seine Arbeit als Nachdenken über die gesellschaftspolitische und historische Dimension von Autoritarismus, Rassismus und Illiberalismus in unserer Zeit. Insgesamt ließe sich der Vergleich zwischen den USA und Deutschland auf folgende Formel bringen: Während die USA wirtschaftlich stark und energiepolitisch unabhängig seien, der Fachkräftemangel und der demographische Wandel mit Hilfe einer gezielten Einwanderungspolitik abgefedert worden sei, sei die Demokratie in den USA in einer tiefgreifenden Krise. Teil des Problems sei dabei der Umstand, dass die Presselandschaft von wenigen konservativen bis ultra-konservativen Medienunternehmen gerade im TV-Bereich dominiert wird, die die Meinungsvielfalt stark eingrenzten und auch vor der Verbreitung von Desinformationen – etwa der Behauptung der „gestohlenen Wahl“ von Donald Trump – nicht Halt machten. Konträr hierzu sei dagegen die Lage in Deutschland, wo die starke Energieabhängigkeit von Russland weitreichende, negative Auswirkungen auf die Wirtschaftslage habe, dagegen sei die Demokratie hier gefestigt. Gerade die Außenpolitik verfolge eine klare Agenda. Die transatlantischen Beziehungen hätten – auch als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine – eine Stärkung erfahren.
Fazit
Während der viertägigen Reise konnte ich eine Vielzahl sehr informativer und offener Gespräche führen und mir einen persönlichen Eindruck von Kultureinrichtungen und Mittlerorganisationen vor Ort verschaffen. Ich nehme eine Reihe wertvoller Erkenntnisse und Kontakten hieraus mit für meine politische Arbeit. Die Einzeltermine wurden in Kooperation mit der Deutschen Botschaft in New York und mit dem Goethe Institut organisiert, sowie im Vorfeld vorbereitet durch ein Briefing durch den ehemaligen langjährigen Leiter der Heinrich Böll Stiftung in Washington, Bastian Hermisson.